Dies ist ein GASTBEITRAG von KATHARINA VON ALLMEN:

Ich würde mich ja als wandererfahren beizeichen, kann topografische Karten lesen und mich im Gelände ganz ordentlich orientieren. In Spanien aber war ich bis anhin immer wieder froh um eine Führerin in Person, denn selbst die gut markierten Fernwanderwege in den Pyrenäen bergen so ihre Tücken. Spanischsprachige Wanderführer sind ein unglaubliches poetisches Erlebnis für Deutschsprachige – die Wegbeschreibungen jedoch erweisen sich trotz malerischster Elegien auf die landschaftlichen Reize meist weder als orientlierungsstiftend noch als hilfreich. Wie oft habe ich mich schon verzweifelt mit so einem wie von Kinderhand gezeichneten Kartenausschnittchen und einer beeindruckend wortgewaltigen Explikation an Dorfbewohner oder andere Wanderer gewandt – bis anhin immer mit durchschlagendem Misserfolg, denn auch „Ureinwohnern“ gelingt es offenbar nicht, sich mithilfe dieser Anleitungen zu orientieren. Irgendwie scheinen sie sich aber davon weniger verunsichern zu lassen als unsereiner.

Ein Weg allerdings ist aus markiertechnische Sicht exzellent erschlossen. Es ist der wohl am meist begangene Pfad in diesem Land – der Camino de Santiago . Unmissverständliche gelbe Pfeile, Kilometerangaben und immer wieder die Muschelzeichen sind so zahlreich, dass man sich kräftig anstrengen müsste, um vom Weg abzukommen. Und nebst verlässlichen deutschsprachigen Wanderführern wie Rother existieren auch gute und aktuelle spanische Führer, mit vielen nützlichen, aktuellen und korrekten(!) Informationen und Telefonnummern.

Kurz vor Santiago – auf den letzten 100 Kilometern wird der Weg allerdings sozusagen zur Fernwanderautobahn. Denn für die offizielle Pilgerurkunde in Latein ist lediglich der Nachweis über die letzten 100 Kilometer des Weges erforderlich. Die katholische Kirche war ja schon immer für Spezialangebote zu haben. So habe ich denn dieses Sonderangebot unter die Füsse genommen.

Der Weg ist in den letzen Jahren stark in Mode gekommen. Das Positive daran: die Infrastruktur ist im galizischen Teil des Weges wirklich gut ausgebaut. Wer nicht will, muss sich dem aufdringlichen Muffen und der mangelnden Privatheit der offiziellen Pilgerherbergen nicht aussetzen. Zahlreiche preiswerte und saubere Herbergen und vereinzelt auch richtige Perlen bieten sich dem Wandernden an. Nach meiner kurzen Stippvisite in zwei dieser Etablissements ist mir klar, dass mich an einem dieser Orte der sichere, olfaktorische Foltertod ereilen würde.

Galizien ist landschaftlich wunderschön und nur sehr spärlich bevölkert. Hier gibt es noch wirklich einsame Gehöfte und fast menschenfreien Raum. Der Weg ab Sarria führt romantisch durch Weiler und Felder, über alte Brücken und durch Wälder. Von Eiche über Pinie bis hin zum unsinnigen, aber schnelles Geld machenden Eukalyptus. Geruchsmässig befinde ich mich manchmal in Australien, aber die Tierwelt stimmt nicht ganz. Gelegenheiten zur lauschigen Rast gibt es zahlreiche, auch Kaffeetrinken ist täglicher Bestandteil der Wanderung. Und auch das Wetter ist in dieser Augustwoche fantastisch. Sonnenschein pur, morgens manchmal etwas Nebel, ein Tag bewölkt. Es entsprach damit allerdings ganz und gar nicht dem, was das Spanische Fernsehen jeden Tag beharrlich auf seinem Bildschirm auswies: Regen, Kälte, Nässe.

Aus Angst vor Dehydration habe ich am ersten Tag den Fehler gemacht, 4 Liter Wasser mitzutragen. Beim Schlussabstieg zum malerischen Portomarin hat das dann mein eines Knie schmerzhaft vermeldet. Das trifft mich unerwartet, da ich sonst in den Schweizer Alpen problemlos über 1000 Höhenmeter Differenz täglich zurücklegen kann. Ich humple also mit dem Hintern voran nach unten. Über die Brücke geht’s dann an den Wanderstöcken einigermassen. Um das Knie zu schonen, lege ich am nächsten Tag Spezialsohlen in die Wanderstiefel. Nach etwa 6 Stunden gehen dämmert mir dann anhand der unerklärlichen Schmerzen an der linken Achillessehen und an allen Zehen, dass die Sohlen wohl etwas zu dick waren und die Füsse nun her hin sind. Bis dato zeigen sich meine grossen Zehen in schönstem Blau – nein, ich will nicht wetten, ob die Nägel nun ausfallen werden oder nicht.

Wo ein Wille, da ein Weg. Bloss, am folgenden Tag war jeder Schritt mehr als eine Qual. Ich musste abbrechen und mich von unserem Gruppentaxi auflesen und nach Melide fahren lassen. Alles nur wegen Wasser! Offenbar aber bin ich nicht die einzige, der so was passiert. Ion jedem Dorf werden Taxiservices angeboten – so kann man sich sein Gepäck von Albergue zu Albergue bringen lassen. Oder im Notfall eben auch sich selber. Die Apothekerin in Melide hat mir eine „tobillera“ – einen Stützstrumpf – verpasst und dazu das Medikament, was man in Spanien fast immer und gegen alles empfohlen. Ibuporfen! Stinkbillig, macht erst noch gute Laune und wirkt. Auch bei mir, und so bin ich dann am nächsten Tag wieder mit von der Partie, wenn auch im Freiluftzehenlook, sprich Sandalen. Menos mal, denn die Hitze ist an diesem Tag beträchtlich. Das letzte Stück kurz vor Santiago legen wir im Auto zurück. Denn das Leben ist zu kurz um schlechten Wein zu trinken und volle Autobahnen entlangzuwandern.

Santiago de Compostela ist eine schöne Stadt und eine Reise wert. Zwar ist die Kathedrale in ihrem bombastischen Stilmix Geschmackssache und für mich eher eine Ausgeburt an Hässlichkeit, aber dennoch imposant. Und mit etwas Glück ist der riesige Weihrauchkessel in Aktion zu sehen: das sollte man sich nicht entgehen lassen! Auch für säkulare Geister ist das Mönchsballett, das den Riesentopf zum Schwingen bringt, sehr unterhaltsam. Ja, und wer dann trotz völlig unspiritueller Motivation auf dem Camino der Stempelsammelmanie anheimgefallen ist, der kann sich ganz einfach die offizielle Pilgerurkunde im Pilgerbüro direkt an der Kathedrale abholen. Man kommt so nebenbei noch zu einem lateinischen Namen!

Vale la pena y los dedos azules.

Praktische Tipps:

Buchtipps Jakobsweg

Vielen Dank an KATHARINA für diesen Artikel! Unter GASTBEITRÄGE finden Sie Informationen zu der Möglichkeit eines eigenen Artikels auf Auswandern-Spanien.NET.

Abonniere den RSS-Feed um auf dem Laufenden zu bleiben
Auf dem Laufenden bleiben über Twitter